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Samsarisches Rad 3 - die 6 Bereiche

Die sechs Bereiche im samsarischen Rad

Diese machen in der Darstellung den dritten und breitesten Ring des Lebensrades aus.

 

Wann immer wir uns als Ich und die Anderen empfinden, bewegen wir uns in der dualen Welt von Samsara. Wir merken nicht, wir alles miteinander interagiert, und wie sich alles gegenseitig bedingt. Ständig reagieren wir auf unsere momentane Lebenssituation mit der Brille von Ich und Du. So liegt unserem Erleben Avidya zugrunde. Wir bemerken die Verwobenheit der Existenz nicht, sondern empfinden uns als ein isoliertes Individuum, welches wir schützen, nähren und stabilisieren müssen. Dies geschieht, indem wir das Angenehme haben wollen und das Unangenehme von uns weisen. Diese Dynamik ist unsere Hauptmotivation, die uns durchs Leben führt. Im ersten Teil beschreibe ich sie genauer. Symbolisch dargestellt ist sie im Kern des Rades, mit dem Schwein, der Schlange und dem Hahn. 

 

Die sechs Bereiche stellen die Sicht dar, aus der heraus wir auf Situationen zu reagieren gewohnt sind. Um so mehr, wenn es in unserem Leben gerade nicht rund läuft. Dann neigen wir dazu, mit alten Gewohnheitsmustern zu reagieren, anstatt zu reflektieren und aktiv zu gestalten.

 

Oft wird in den Belehrungen von den oberen und den unteren drei Bereichen gesprochen. Dabei sind die oberen Bereiche mit Wohlstand, Bildung und vielen Möglichkeiten ausgestattet. Es ist das Reich der Götter, Halbgötter und Menschen. Jene Bereiche in die wir gelangen, wenn wir gutes Karma haben. Dann leben wir in einem Land, im dem kein Krieg herrscht und ein angenehmes Klima ist, in dem wir Chancen haben, uns zu entfalten und unser Leben selbstbestimmt und frei zu gestalten.

Die drei unteren Bereiche hingegen haben schlechtere Karten. Hier dominiert Dumpfheit, Armut, Mangel-Bewusstsein, Abhängigkeit und Trauma. Es ist das Territorium von Gewalt,  Armut, Missbrauch und Abstumpfung.

Somit könnte man meinen, dass wir, als im deutschsprachigen Raum lebende YogalehrerInnen in den oberen Bereichen leben. Ja, den äußeren Umständen entsprechend scheint das so zu sein. Aber unser Leben ist gerade zur Zeit von vielen Bedrohungen und Unsicherheiten geprägt. In unseren täglichen Ereignissen durchleben wir oft alle sechs Bereiche. Es sind je nach Situation unsere Stimmungen und Zustände, die im Tagesgeschehen immer wieder wechseln und unser Bewusstsein einfärben. 

 

Chöngyam Trungpa ein tibetisch buddhistischer Lehrer beschrieb die sechs Daseinsbereiche in einem Tagesverlauf einmal so: 

Wir haben schlecht geschlafen und am Abend zuvor zu viel getrunken. Benebelt wachen wir auf, taumeln ins Bad, haben Kopfschmerzen und erinnern nichts. Wir sind wir im dumpfen Tierreich. 

Nach einem Kaffee machen wir uns in Ruhe fertig, wählen tolle Kleidung für die Arbeit, schminken uns und legen Parfüm an. Zufrieden und stolz schauen wir in den Spiegel und finden uns richtig schön. Hier sind wir im Götterreich. 

Auf der Arbeit erfahren wir, dass ein Kollege, den wir nicht leiden können, auf eine Stelle befördert wurde, auf die wir uns beworben haben. Wir werden wütend, eifersüchtig und neidisch, fühlen uns ohnmächtig und sind damit bei den neidischen Göttern. 

In der Mittagspause kompensieren wir diesen Frust mit einem viel zu großen Eis, welches wir gierig herunterschlingen. Wir bekommen Bauchweh und ein schlechtes Gewissen. Willkommen bei den Hungergeistern. 

Nach der Arbeit erfahren wir zu Hause, dass unser pubertierender Sohn wegen Drogenhandel von der Schule geflogen ist. Wir rasten aus, ein Streit entsteht, Türen knallen, das Kind stürmt aus dem Haus, wir sind verzweifelt. Das ist der Höllenbereich. 

Aber zum Glück können wir mit unserem Partner am Abend die Lage besprechen, wir überlegen die nächsten Schritte, um dem Kind zu helfen. Wir erwägen mehrere Varianten bis uns eine gute Idee kommt. Dies ist das Menschenreich. 

 

Bis auf den menschlichen Bereich, sind alle anderen Bereiche sich Ihrer Selbst und Ihrer Situation nicht bewusst. Daher reagieren wir impulsiv unseren Gewohnheitsmustern gemäß.

Dabei sind wir in unserem verzerrten Erleben gefangen. 

Durch das fehlende Gewahrsein und den Mangel an Reflektion, ist es uns nicht möglich, aus diesem Muster auszusteigen.

Diese Gelegenheit bietet der menschliche Bereich, denn hier reflektieren wir, spüren uns selbst und die Anderen, mit allen Bedürfnissen, Möglichkeiten und Verfehlungen und können korrigierend eingreifen.

 

Sylvia Wetzel erzählte in ihren Retreats einmal folgendes Beispiel, das die unterschiedliche Erlebniswelt der sechs Bereiche veranschaulicht.

 

Für die Götter ist das Wasser eines Flusses wie Champagner. 

Für die neidischen Götter ist es wie Quecksilber. 

Für die Menschen ist es Flusswasser. 

Für die Hungergeister ist es ein köstliches Gift. 

Für die Tiere ist das Wasser eines Flusses verschlammt und verdreckt. 

Für die Höllenwesen ist das Wasser eines Flusses wie flüssiges Blei. 

 

Für jeden Bereich gibt es eine Medizin, die uns hilft, den Verblendung dieses Reiches entgegen zu steuern und zu heilen.

Im Folgenden beschreibe ich die Erfahrungswelt der sechs Bereiche und ihre Medizin.

 

 

Die Götterwelt sansk. Lokas oder Devas

Die Götter sind stolz, hochmütig und genießen den Wohlstand eines angenehmen Lebens. Hier kaufen wir im Bioladen ein, gehen einmal im Jahr zur Ayurveda Kur nach Sri Lanka, besitzen ein Konzert-Abonnement, unsere Kleidung ist von höchster Bio Qualität. 

Die Götter genießen Ihr gutes Karma, welches sich angesammelt hat. Aber leider schaffen Sie kein neues gutes Karma an, daher ist Ihr Konto eines Tages leer und der Absturz aus der Götterwelt schmerzt mehr als alle Höllenqualen.

Wenn wir den Job verlieren, die Ehe zerbricht, das Vermögen oder einen Teil davon in einer Börsenblase zerplatzt, oder wenn wir eine schwere Krankheitsdiagnose erhalten, kurz: Wenn uns das Glück verlässt, stürzen wir aus der Götterwelt.

Es ist die Weisheit der Gleichheit mit der wir erkennen, dass wir nicht besser oder höherstehend sind. Die Weisheit, dass alle Wesen in der Essenz gleich sind, bricht unseren egozentrischen Stolz und entwickelt Dankbarkeit und Mitgefühl. So können wir die engen Wellness–Bereiche der Götter aufweichen indem wir mitfühlend und helfend uns um jene kümmern, denen es nicht so gut geht. Oder aber, wir nutzen unsere guten Bedingungen um auf jedwede Art zur heilsamen Entwicklung auf der Welt zu wirken und stellen unsere günstigen Bedingungen damit in den Dienst eines größeren Ganzen.

 

Die neidischen Götter oder Halbgötter sansk.Asuraskämpfen eifersüchtig um ihr Überleben. Schneller, höher, weiter, jagen Sie durchs Leben von einem Erfolg zum anderen. Als Workaholics sichern Sie Ihr Terrain und weiten es aus – denn was sie haben ist nie gut genug. Für eine Wirtschaft, die nur gesund ist, wenn Sie ständig weiter wächst braucht es den unermüdlich vorwärtsdrängenden Arbeitswillen der Asuras. Dabei leiden die Asuras an einem Mangelgefühl existentieller Bedrohung. Das bereits Erreichte, reicht nicht. Ihnen fehlt die Genugtuung und Freude über ihre Erfolge.

Im samsarischen Rad wächst ein Apfelbaum im Gebiet der neidischen Götter, die Äpfel hängen jedoch im Götterreich. Während diese munter die Äpfel pflücken, beginnen die neidischen Götter einen Krieg mit den Göttern um Ihre Äpfel. Während die Götter in diesem Krieg ein wenig gelangweilt spielen, kämpfen die neidischen Götter verzweifelt um Ihr Leben.

Übertriebenes beschäftigt Sein mit unwesentlichen Dingen. So nennen die Tibeter dieses Verhalten, welches unter die Rubrik „Trägheit“ fällt.

Hier hilft die Weisheit der alles vollendende Handlung.

Wenn wir zufrieden sein können, mit dem was wir haben, voller Wertschätzung für das Erreichte; wenn unsere Anerkennungsspeicher gut gefüllt sind, hört der Schmerz des Mangels auf; der uns unablässig vorantreibt. So können wir besser das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden und haben so veränderte Koordinaten für das, was uns wichtig ist im Leben. Dann können wir uns fehlerfreundlich mit einem warmen Herzen am gemeinsamen Menschsein erfreuen.

 

Das Menschenreich sansk. Manusya bietet gute Chancen Samsara zu entkommen, denn nur im Menschenreich sind wir uns unserer Selbst bewußt. Mit Leidenschaft ausgestattet, finden wir hier eine inspirierende Mischung aus Hoffnung und Furcht, entdecken Chancen und Möglichkeiten. Unzufriedenheit mit unserer Situation bringt uns in Bewegung, anstatt uns zu lähmen. Wir finden Vorbilder, denken, planen und vernetzen uns. Es entstehen Chancen und Möglichkeiten. Wir experimentieren, entwickeln neue Technologien und Systeme, erforschen das Universum, den Makro- wie den Mikro-Kosmos. Wir verstehen Zusammenhänge, ziehen Konsequenzen. Gelegentlich geraten wir in den Datenstau eines kognitiven Diskurses, den wir aber immer wieder in das offene Gewahrsein hinein auflösen können. In einer Wiedergeburt im Menschenreich, liegt die Chance aus Samsara auszusteigen. Denn nur im Menschenreich können wir Achtsamkeit und Gewahrsein entfalten, die Grundvoraussetzung um zu bemerken was geschieht und intelligent und wohlgespürt, korrigierend und entschieden – im Angesicht unserer Vergänglichkeit - zu denken und zu handeln.

 

Das Tierreich sansk. Tiryag

Hier werden wir gejagt, unser Leben ist ständig bedroht. Wir werden beherrscht, domestiziert oder als Schlachtvieh gehalten. Dumpfheit und Dummheit kennzeichnet das Tierreich, nicht mitkriegen was geschieht ist der Geisteszustand. Hier haben wir kein Gespür für uns und unsere Bedürfnisse, wir können nicht reflektieren sind eng in unseren Gewohnheiten und in starren Verhaltensmustern gefangen. Es wirkt wie das Gegenteil des Menschenreiches. Im Tierreich sind wir am stärksten in avidya, der Unwissenheit verhaftet.

Hier hilft es, anstatt sich mit Glotze und Chips auf dem Sofa berieseln zu lassen und dumpf jede Politikermeinung abzunicken, sich auf die Suche nach tiefgründigen spirituellen Lehren zu begeben. Sinnvolle Wege beschreiten und sich wach und engagiert für eine Sache einzusetzen.

 

Die Hungergeister sansk. Pretas

Die Pretas haben aufgequollene Bäuche und einen sehr dünnen Hals, der zudem auch noch verknotet ist. Sie leiden unstillbaren Hunger, denn die Speise, die sie sehen, riechen und begehren, geht nicht durch den verschlossenen Schlund. Gelangt doch ein Bröckchen durch das Nadelöhr in den Bauch, entfacht es dort ein verzehrendes Feuer. Es sind leidenschaftlich unerfüllte Wesen.

In traditionellen tibetischen Malereien, werden sie häufig auf Friedhöfen herumlungernd dargestellt.

Jeder Zug an einer Zigarette, jede Form der Sucht gehört zu den Hungergeistern. Wir sind abhängig von dem, was uns nicht nährt und verzehren uns in unerwiderter Leidenschaft,

weil all unsere Versuche, andere zu manipulieren, zu scheitern scheinen. Messies und Schnäppchenjäger gehören zu den Hungergeistern. Aber auch all Jene, die gierig alles haben wollen, ohne die Bereitschaft, einen guten Preis dafür zu zahlen. 

Hier sollten wir dem begegnen, was hinter der dumpfen Gier steckt. Vermutlich treffen wir auf Wut, Angst, Schmerz und Leere. Wenn wir uns in Großzügigkeit üben, anderen unsere Zeit, Aufmerksamkeit und Geld zur Verfügung stellen und auch bereit sind Opfer zu bringen, kann der Mangel der Hungergeister wieder auf den gesunden mittleren Weg zurückfinden. 

 

Die Höllenwesen sansk. Naraka

Leiden in den acht heißen oder in den acht kalten Höllen. Sie können nicht sterben oder werden immer wieder ins Leben zurückgeholt um weiter gekocht, zerstückelt, zersägt oder eingefroren zu werden. Es gibt drastische und skurrile Geschichten zu den Höllenwesen. So kann eine Beziehungshölle so aussehen, dass das Objekt unserer Begierde in einer Baumkrone sitzt, dessen Blätter aus Rasierklingen bestehen. 

In der kalten Hölle frieren wir ein und erstarren in schweigender Wut. Wir fallen in eine Depression oder spalten Teile von uns ab. In der heißen Hölle verbrennen wir in schäumendem Zorn, werden gewalttätig oder erfahren Gewalt.

In traumatischen Situationen erleben wir höllische Zustände. Ein Merkmal dieser Zustände ist; dass wir das Gefühl haben, dass dieser Zustand nie enden wird. 

Aber auch selbstzerstörerisches Handeln, oder eine abwehrende und gereizte Grundstimmung entspringe dem Höllenreich. 

Erfrischendes Wasser zur Reinigung all dessen, was sich angestaut hat, jede Linderung dieser starken Zustände, alles was unsere Ressourcen stärkt und eine Reflektion über das dunkle Zeitalter „Kaliyurga“ können helfen, einen höllischen Zustand zu erleichtern. 

 

Im dritten und letzten Teil dieser Serie über das samsarische Rad, geht es um den äußeren Kreis. Hier werden die 12 Glieder des abhängigen Entstehens beschrieben, es ist eine Kartographie unseres Bewusstseins, welche Buddha erkannte als er Erwachen fand. Hier wird genau aufgezeigt, wie sich Gewohnheiten bilden und wie wir es schaffen können, immer wieder mal aus dem Rad des Lebens auszusteigen. 

 

Minka Hauschild